Archivarbeit im Klassenzimmer
Für die Kurse 13BG01, 13BG02, 13BG04 und 13BG06 stand am Ende ihrer Schullaufbahn an den Kaufmännischen Schulen der Universitätsstadt Marburg (KSM) im März noch etwas auf dem Programm, das sich zunächst – zumindest für den nicht studierten und begeisterten Historiker – vielleicht etwas langweilig anhört: Archivarbeit! Entgegen einiger Befürchtungen der Schüler/-innen musste dafür keine weitere Strecke zurückgelegt und kein muffiger Archivkeller mit Aktenordnern und verstaubten Kisten durchwühlt werden. Sie konnten bequem aus dem Klassenraum heraus mit ihrem iPad oder Smartphone loslegen, denn das Projekt #everynamecounts des Archivs aus Bad Arolsen ist für jeden mit Internetzugang leicht und einfach erreichbar.
Es handelt sich hierbei um eine Crowdsourcing-Initiative: Mit unzähligen Freiwilligen weltweit wird den Verfolgten des Nationalsozialismus ein digitales Denkmal gesetzt, indem die Namen und verfügbaren Daten der Opfer des NS-Regimes digitalisiert werden. Dadurch entsteht derzeit das weltweit größte Online-Archiv über die Opfer der NS-Verfolgung, sodass z. B. Angehörige nach ihren Verwandten online suchen können.
Seit Beginn der Initiative wurden über 6 Millionen Dokumente bearbeitet, nun auch durch unsere 13er, die sich – nach kurzer Erklärung durch die Lehrkräfte, Herr Schäfer und Frau Lauer, schnell an die Arbeit setzen konnten. Zunächst musste man sich entscheiden, ob man die zentrale Namenskartei oder die Kartei der Gestapo bearbeiten möchte (ein nachträglicher Wechsel ist jederzeit möglich gewesen). Entsprechend der Wahl gelangten die Schüler/-innen dann zu eingescannten Originaldokumenten, die sie – entsprechend der Anleitung – in eine vorgegebene Maske übertrugen. Binnen 2 bis 5 Minuten, je nachdem, wie viele Informationen verfügbar waren, hatte man ein Dokument bearbeitet. Dieses geht allerdings erst in das Archiv über, wenn zwei anderen Bearbeiter exakt dasselbe eingetippt haben. So vermeidet das Archiv Fehleingaben.
Da die Akten weitestgehend handschriftlich geführt wurden, beklagte der ein oder die andere Schüler/in die mangelnde Lesbarkeit einiger Dokumente (Anmerkung der Lehrkraft: nolite iudicare, et non iudicabimini). Die Bearbeitung der Gestapo-Akten veranlasste viele Schüler/-innen, selbstständig eine weiterführende Recherche zu betreiben, z. B. über dort genannte Geheimorganisationen oder Vorfälle. Auch haben die individuellen Schicksale die Schüler/-innen berührt, man habe sich oft gefragt, warum sie gefasst bzw. registriert wurden, was dann aus ihnen geworden sei oder sie überlebt haben. Dokumente von Säuglingen und Kleinkindern führten ebenfalls zu reger Anteilnahme und spontanen Gesprächsrunden, sodass die Opfer des NS-Regimes für die Nachwuchsarchivare individuell greifbar und regelrecht präsent wurden.
Schüler/-innen bei der Rechercearbeit
Insgesamt waren die Kursteilnehmenden von der Durchführung dieser Art von Archivarbeit überzeugt und bekräftigten, dass man auch künftig eine Doppelstunde damit verbringen sollte, weil es ihnen das Schicksal der jeweiligen Individuen näher gebracht habe, man sich aktive Gedanken um jede einzelne Person machte, die man bearbeitet habe, und man wirksamer Teil der Entstehung des Archivs sei, was dazu beiträgt, dass Menschen auf der ganzen Welt das Schicksal ihrer Angehörigen und Freunde recherchieren können. Dementsprechend möchten wir alle, die diesen Bericht gelesen haben, gerne einladen und auffordern, es den 13ern gleichzutun: #everynamecounts!