„Ich bin eine Geschichte“ – Der Schauspieler Reimund Groß begleitet sich auf der E-Gitarre in seiner Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“

Es war eine sowohl mental als auch körperlich sehr fordernde Leistung, mit wenig Inventar und Requisiten fünf Personen des Dramas „Woyzeck“ zu verkörpern und Szenenwechsel durch die Gitarre mit lyrisch-poetischen Elementen überzuleiten. Diesen intensiven Einsatz zu erleben, den ein Schauspieler bei seiner Arbeit leisten muss, war für die Schüler/-innen der Q2-Phase des Beruflichen Gymnasiums und der 12. Klassen der Fachoberschule der Kaufmännischen Schulen der Universitätsstadt Marburg (KSM) am 20. Februar in der Aula der KSM sehr eindrücklich zu erleben.

„Ein guter Mord, ein echter Mord, ein schöner Mord. So schön, als man ihn nur verlangen kann. Wir haben schon lange so keinen gehabt.“, sagt am Schluss des Fragment gebliebenen Stückes ein Polizist befriedigt. Das ist es also was von dieser Geschichte am Ende bleibt. Für Reimund Groß das zentrale Kernthema des Woyzeck: Die Vereinzelung in der Masse. Jeder ist nur mit sich beschäftigt und der soziale Zusammenhalt nur ein Deckmäntelchen, ein Mord eher eine Schlagzeile zur Ablenkung, als ein tragisches Ereignis. Ob Hauptmann, Doktor, Tambourmajor oder Marie, alle kreisen nur um sich selbst und dazwischen umhergeistert Woyzeck, wie ein Flummi hin und her, er hört das Gras wachsen. Am Ende vollkommen verwirrt, ausgenutzt von allen, tötet er die Frau, die er über alles liebt.

„Die Literaturbrauerei“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, literarische Texte aus vergangenen Zeiten jungen Menschen, hier und jetzt erfahrbar zu machen. Um diese Texte nicht nur intellektuell, sondern auch sinnlich erlebbar zu machen, legt „Die Literaturbrauerei“ ihr Hauptaugenmerk auf die emotionalen, zeitlosen Vorgänge in den Texten. Wir wollen die Schüler/-innen auf eine innere Zeitreise, in die Welthinter den Worten mitnehmen und ihnen so ein Gefühl für die Schönheit der Sprache vermitteln, wenn „Deutsch nicht nur gespuckt“ wird (frei nach Karl Kraus). Und weil jede Figur, bis auf Woyzeck, in dem Stück nur um sich allein kreist, es kein wirkliches Miteinander gibt, sondern autistische Ich-Bezogenheit, spielt Groß das Stück allein, versucht die Figuren schauspielerisch deutlich voneinander abzuheben, zu individualisieren, verbunden durch Woyzeck, der als Einziger nach Zusammenhängen sucht und sie allein nur in der Katastrophe findet.

Reimund Groß lebt und arbeitet mittlerweile als Schauspieler und Autor auf einem Hof im Havelland nahe Potsdam. Dort arbeitet er neben der künstlerischen Haupttätigkeit und als gelernter Landwirt, seit elf Jahren auf einem Biobauernhof mit, erarbeitete mit einem Kollegen eine szenische Führung durch Ribbeck im Havelland und aktuell ein Knigge-Programm, und andere Volkstheaterstücke, die sie mit großem Erfolg aufführen.

Daneben inszeniert Reimund Groß Theaterstücke mit Profis und Laien. Nach der Schauspielschule am Theater „Der Keller“ in Köln, führten ihn Engagements an etliche renommierte Theater quer durch die Republik, bevor er 2007 mit der Regisseurin Annette von Klier „Die Literaturbrauerei“ gründete, in der sich nun seine Neigung zur Literatur mit der Leidenschaft zum Spielen verbinden lassen.

Für die Schüler/-innen war diese Aufführung ein lohnender Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Dramenfragment und für Theaterfragen in Bezug auf werktreuer Inszenierung gegenüber Regietheater.

Jeannette Jockenhövel

Impressionen von der Inszenierung